Geburtstrauma - Wenn die Geburt zum Albtraum wird

Geburtstrauma: Wenn die Geburt zum Albtraum wird

Du hast dem Tag der Geburt entgegengefiebert. Dann kam der Tag. Und nun ist nichts mehr, wie es war.

Die Geburt ist eines der bedeutungsvollsten und weitreichenden Ereignisse deines Lebens. Nicht immer läuft dabei alles so, wie du es dir vielleicht erträumt hast. Eine geplante Traumgeburt kann sich im schlimmsten Fall zu einem Albtraum entwickeln.

Im diesem Blogartikel erkläre ich dir, was ein Geburtstrauma eigentlich ist, wie es dazu kommt und welche Folgen es haben kann. Außerdem lernst du Möglichkeiten kennen, deine eigene traumarischen Geburtserfahrung zu verarbeiten. Außerdem gehe ich der Frage auf den Grund, ob, und wenn ja wie, man einem Geburtstrauma vorbeugen kann.

Was ist ein Geburtstrauma

Der Begriff „Trauma“ kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet soviel wie Wunde oder Verletzung. Einem Geburtstrauma ist also eine Verletzung oder Wunde, die durch die Geburt entstanden ist.
Ärzte verwenden den Begriff „Geburtstrauma“ meistens, um körperliche Geburtsverletzungen deines Babys zu beschreiben (z.B. Hämatome, Frakturen, etc.). In der Psychologie fasst man mit dem Begriff dagegen alle durch eine Geburt entstandenen seelischen Verletzungen bei Mutter und Kind zusammen. Dieser Blogartikel bezieht sich auf dich und dein Geburtserleben. Deswegen verstehe ich im Folgenden ein Geburstrauma als eine schmerzhafte Wunde, die die Geburt deines Kindes auf deiner Seele hinterlassen hat.

Vielleicht hast auch du die Geburt deines Kindes als sehr belastend erlebt und fragst dich jetzt, ob du ein Geburtstrauma davongetragen hast. Diese Frage kann man nicht objektive beantworten. Ein und dieselbe Geburtssituation kann von Frauen zu Frau sehr unterschiedlich wahrgenommen werden.
Deswegen gilt hier: ein Geburtstrauma liegt immer dann vor, wenn du selbst die Geburt als traumatisch empfunden hast. Entscheidend ist also deine subjektive Einschätzung.

Wichtig bei der Begriffsbestimmung des Geburtstraumas ist es auch, den Begriff abzugrenzen von einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), die eine mögliche Folge des Geburtstraumas darstellt. Etwa 1-2% aller Frauen erfüllen nach der Geburt die Kriterien für diese psychischen Störung. Im deutschen Gesundheitssystem hast du erst mit dieser Diagnose Anspruch auf professionelle Hilfe.
Das ist nicht gerecht und fatal, denn als betroffene Mama leidest du auch ohne die Erfüllung dieser starren Kriterien, manchmal über Jahre und Jahrzehnte hinweg.
Deswegen gebe ich dir weiter unten im Text Tipps und Anregungen dazu, was du tun kannst, wenn du eine traumatische Geburt erlebt hast.

Wie kommt es zu einem Geburtstrauma?

Geburt ist ein Akt des sich Öffnens – körperlich und seelisch. Damit, dass du dich öffnest, machst du die verwundbar. Das macht eine Geburt zu einem sensiblen Ereignis mit einer Vielzahl möglicherweise traumatisierender Momente.

Doch was genau ist eigentlich traumatisch? Als traumatisch werden Ereignisse bezeichnet, die potenziell (d.h. auch subjektiv empfunden) oder tatsächlich lebensbedrohlich sind, zu ernsthaften Verletzungen führen können oder deine körperliche Unversehrtheit bedrohen.

Was von dir persönlich als traumatisch erlebt wird, ist sehr individuell und hängt von einer Vielzahl individueller Faktoren und bisherigen Lebensereignissen ab.

Eine unerwartet schnelle Geburt. Eine Geburt, die sich über Tage hinzog. Ein Dammschnitt. Interventionen. Medikamente. Eine Frühgeburt. Ein Kaiserschnitt. Eine Saugglocken- oder Zangengeburt. Schmerzen. Hilflos sein. Alleine gelassen werden. Übergangen werden. Die Trennung vom Baby. Angst. Worte. Gewalt. Ein krankes Kind. Ein Sternenkind.

Das sind nur Beispiele für belastende Ereignisse während einer Geburt. Sie haben eines gemeinsam: das Gefühl, die komplette Kontrolle zu verlieren über das, was dir gerade passiert. Das, was passiert, übersteigt deine zur Verfügung stehenden Bewältigungsmechanismen. Du erlebst dich und/oder dein Kind als existenziell bedroht.
In diesem traumatischen Moment siehst du keinen Auswege für dich und dein Kind, um aus dieser Situation zu entkommen.

Mögliche Folgen eines Geburtstraumas

Das bleibt nicht ohne Folgen für dich und dein Baby. Häufig kommt es nach einem Geburtstrauma zu sehr belastenden Symptomen, die man grob in acht Kategorien einteilen kann:

  • Körperliche Symptome: Als eine Folge des Erlebten befindet sich der Körper in einem Zustand der Übererregung. Vielleicht kannst du nicht mehr (Ein-)Schlafen, bist äußerst reizbar und sehr schreckhaft. Es fällt dir möglicherweise schwer, dich auf Dinge zu konzentrieren.
  • Wiedererleben des Traumas: Das, was du während einer traumatischen Geburt erlebt hast, kehrt häufig in verschiedener Form wieder. Es kann sein, dass du plötzlich Bilder und Gedanken der Geburt vor deinem inneren Auge siehst, aus dem Nichts bestimmt Gefühle erlebst oder Albträume hast. Dein Körper reagiert darauf mit enormem Stress. Stresshormone werden ausgeschüttet. Du hast Schweissausbrüchen, dein Puls wird schneller, ebenso deine Atmung. Das führt häufig dazu, dass du Angst, Anspannung und Belastung erlebst.
  • Vermeidungsverhalten: Häufig meiden Frauen nach einer traumatischen Geburt alles, was an die Geburt erinnert. Das können bestimmte Gedanken genauso sein wie Personen oder Orte. Auch wenn es dir nicht gelingt, sich an manche Teile der traumatischen Geburt zu erinnern, kann das eine Form der Vermeidung sein. Dadurch möchte sich deine Seele vor weiteren Verletzungen schützen.
  • Schwierigkeiten der Mutter-Kind-Bindung & emotionale Taubheit: Es kann sein, dass es dir nach der Geburt schwer fällt, etwas für dein Kind zu empfinden. Das gesellschaftliche Idealbild einer treu sorgenden, liebenden Mutter ab dem ersten Moment verstärkt den Druck enorm. Vielleicht hat sich auch nach deiner Geburt der Gedanke eingeschlichen, eine schlechte Mama für dein Kind zu sein. Betroffenen Frauen gelingt es nur selten, Selbstmitgefühl für sich und die eigene Situation zu entwickeln.
  • Rückzug aus sozialen Beziehungen: Es kann auch sein, dass du dich dich von Menschen zurückziehst, da du dich unverstanden fühlst. Die Menschen in deinem Umfeld können deine Situation und das, was du erlebt hast, meist nicht gänzlich nachempfinden. Ihr Unverständnis („Hauptsache, das Kind ist gesund“), ihr Versuch, das Geschehene herab zu spielen („Das wird schon wieder“, „Das haben schon viele Frauen vor dir erlebt“) und deine Scham über das, was du erlebt hast, führen häufig dazu, dass du dich von Freunden und Familie zurück ziehst.
  • Verlust von Selbstvertrauen & Erschütterung der eigenen Identität: Eine traumatische Geburtserfahrung rüttelt tief an deinem Selbstverständnis als Frau, als Mama und als Mensch. Vielleicht gibst du dir selbst die Schuld an dem, was passiert ist. Vielleicht fühlst du dich als Versager deiner ureigenen Aufgabe als Mutter, dein Kind zu gebären und stellst dich als Mensch in Frage. Es kann sein, dass diese Erfahrung zu starken Versagensängste in anderen Lebensbereichen führt. Eine mögliche Folge sind ein negatives Selbstbild („ich bin nichts wert“, „ich kann nichts“, „ich bin falsch“) bis hin zum Selbsthass.
  • Beeinträchtigung der Partnerschaft: Möglicherweise fühlst du dich auch von deinem eigenen Partner unverstanden, im Stich gelassen oder schaffst es nicht, ihm deine Gedanken anzuvertrauen. Dein Partner auf der anderen Seite fühlt sich wahrscheinlich komplett hilflos in dieser Situation. Eure Sexualität kann sich nach einem Geburtstrauma ebenfalls negativ verändern. Tatsächliche Geburtsverletzungen spielen dabei eine ebenso wichtige Rolle wie die erlebte erschütterte weibliche Identität. Das Erleben eines Geburtstraumas kann dazu führen, dass du nie mehr schwanger werden möchtest, auch, wenn du dir eigentlich immer mehrere Kinder gewünscht hast.
  • Entwicklung einer oder mehrerer psychischer Störungen: Nach dem Erleben eines Geburtstraumas kann es zu einer Reihe unterschiedlicher, dringend behandlungsbedürftiger, psychischer Störungen kommen. Insbesondere Angststörungen, depressive Störungen sowie das Auftreten posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) treten gehäuft auf. Solltest du den Verdacht hegen, davon betroffen zu sein, möchte ich dich dazu ermutigen, dich einem Experten (Arzt/ Ärztin, Psychotherapeut/ Psychotherapeutin) anzuvertrauen. Er bzw. sie weiss, wie man dir helfen kann, auch wenn deine Situation dir im Moment vielleicht ausweglos erscheinen mag. Es gib immer einen Weg.

Wege aus dem Geburtstrauma

Nun stellt sich die Frage, was du als betroffene Mama tun kannst, um deinen Weg aus dem Geburtstrauma zu finden. Denn du leidest. Und du hast es verdient, dass es dir besser geht.

Deswegen werde ich im Folgenden vor allem auf Möglichkeiten eingehen, die du selbst ergreifen kannst und die dir jederzeit offen stehen.

  • Soforthilfe: Wenn deine Geburt erst kurz zurück liegt, dann rate ich dir, so schnell wie möglich einen verständnisvollen, wertschätzenden Gesprächspartner zu finden, der dir achtsam zuhört. Man weiss heute auf verschiedenen Studien, dass das frühe Sprechen (und verstanden werden!) über das belastende Ereignis verhindern kann, dass dein Gehirn es als Trauma abspeichert. Suche dir also schnellstmöglich jemanden, dem du dich im Gespräch anvertrauen kannst. Das kann dein Partner, eine Freundin oder auch jemand aus deiner Familie sein. Oder du entscheidest dich für ein professionell begleitetes Geburtsnachsorgegespräch, das in dieser verzweifelten Situation oft Berge versetzen kann. Dazu kannst du dich sehr gerne auch bei mir melden. Häufig bist du in den ersten Tagen nach der Geburt mit ganz anderen Dingen beschäftigt. Was also, wenn schon einige Zeit vergangen ist, deine Seele aber immer noch schmerzt?
  • Zulassen: Ein wesentlicher Schritt auf deinem Heilungsweg ist das Annehmen und Zulassen: Alle deine Gefühle sind ok. Wirklich alle. Du bist, mit allem was du bist und was du nicht bist und dem, was du erlebt hast, ok. Punkt. Auch wenn es dir blöd vorkommt – stelle dich vor den Spiegel, sieh dir in die Augen und sage dir „ich bin gut so, wie ich bin“. Mache dies mehrmals täglich, mindestens zwei Wochen lang. Du wirst sehen, irgendwann wird es leichter und du kannst anfangen, dir zu glauben.
  • Zeit & Abstand: Die Zeit heilt nicht alle Wunden. Deswegen solltest du dich nicht darauf verlassen, dass sich alles von alleine gibt. Du musst nicht leiden und hoffen, dass es irgendwann besser wird. Aber du kannst die Zeit gezielt einsetzen. Nimm dir regelmäßig bewusst Zeit für dich. Auch und gerade dann, wenn alles andere wichtig erscheint. Dabei ist es nicht wichtig, ob es eine halbe Stunde oder ein halber Tag ist. Nimm dir Zeit, in der du einfach sein und dich all dem hingeben kannst, was ist. Du musst diese Zeit nicht damit verbringen, dich aktiv mit der Geburt auseinanderzusetzen. Du darfst lachen, weinen, schreien oder einfach nichts tun. Höre auf deine Intuition, sie wird dir sagen, was du jetzt im Moment brauchst. Setze alles daran, damit du deine Zeit für dich bekommst. Hole dir die Oma oder einen Babysitter ins Haus, damit du dein Kind gut versorgt weisst und deine Zeit für dich und deine Bedürfnisse nutzen kannst. Und tu dies völlig ohne schlechtes Gewissen.
  • Rekonstruktion und Geburtssbericht: Während eines Traumas ist dein Gehirn im Not-Modus. An manches kannst du dich deshalb wahrscheinlich nur schwer oder lückenhaft erinnern. Vielleicht sind einige Erinnerungen nur schemenhaft vorhanden oder dir fällt es schwer, die Vorkommnisse zeitlich einzuordnen. Deswegen empfehle ich dir, deinen Geburtsbericht im Krankenhaus/ Geburtshaus/ bei deiner Hausgeburtshebamme anzufordern. Lies ihn. Wenn nötig mehrmals. Das wird dir helfen, das Erlebte in einen logischen Gesamtzusammenhang zu bringen. Das ist die Voraussetzung dafür, dass du mit dir selbst mitfühlen kannst. Das Wissen darüber, was aus welchem Grund passiert ist und gemacht wurde, kann dir helfen, das schere Gefühl von Schuld von deinen Schultern zu nehmen. Sorge dafür, dass jemand für dich da ist, wenn du dich mit dem Bericht auseinander setzt. Und bleibe nicht alleine mit den Gedanken und Gefühlen, die dabei hoch kommen. Wenn sich Fragen ergeben, dann versuche, Antworten zu finden. Frage Personen, die bei der Geburt anwesend waren, wie etwa deinen Partner oder deine Hebamme. Du kannst auch deine Ärztin bzw. deinen Arzt fragen, wenn du etwas nicht verstehst.
  • Austausch mit Gleichgesinnten: Ich möchte dich dazu ermutigen, dich mit Frauen auszutauschen, die Ähnliches erlebt haben. Das wird dir Rückhalt geben. Du hast die Möglichkeit, nach Selbsthilfegruppen in deiner Region zu suchen, oder online Frauen zu finden, die eine ähnliche Erfahrung gemacht haben. Ihr könnt euch austauschen, gegenseitig Kraft geben und werdet einander in euren tiefsten Gefühlen verstehen. Dieses empathische Verständnis füreinander kann deine Situation um einiges leichter für dich machen.
  • Kontakt mit deinem Baby: Sehr wahrscheinlich hat auch dein Kind die Geburt als sehr belastend. Suche aktiv den Kontakt zu deinem Baby bzw. Kind. Das Babyheilbad nach Brigitte Meissner und ein Gespräch mit deinem Baby eignen sich dafür besonders gut. Erzähle deinem Baby, was dich bewegt. Dein Baby muss dich dabei nicht verstehen. Es wird dich fühlen. Trage und stille dein Baby so oft wie möglich. Sorge dafür, dass ihr ungestört Haut an Haut miteinander kuschelt. So werden Hormone freigesetzt, die es dir leichter machen, dein Baby anzunehmen und Schritt für Schritt mehr Gefühle zu entwickeln – für dein Baby und dafür, was passiert ist.
  • Unterstützung von Außen: Zu guter Letzt möchte dich dazu ermutigen, dir Unterstützung auf deinem Heilungsweg zu holen. Du musst nicht alles alleine schaffen. Du darfst Hilfe in Anspruch nehmen. Fühle in dich hinein. Was könnte dir gut tun? Ein Geburtsnachsorgegespräch? Eine Massage? Eine Haushaltshilfe, die dir mehr Zeit für dich verschafft? Ein Kurs, in dem du mit Gleichgesinnten die wesentlichen Schritte hinaus aus deinem Trauma gemeinsam gehst?

Fazit

Nimm dich und deine Bedürfnisse ernst. Alles, was du für dich tust, tust du letztendlich auch für dein Kind. Also sei es dir wert.

Eines eines solltest du dabei nie vergessen: Du hast keine Schuld an dem, was passiert ist. Du hast dein Bestes gegeben. Du bist die einzig richtige Mama für dein Kind. Du bist genug.

Und wenn du dir meine Unterstützung auf deinem Heilungsweg wünschst, dann melde dich jederzeit sehr gerne bei mir.

Alles Liebe,

deine „Mama“-Psychologin Isabel

Und nun interessiert mich: Hast du deine Geburt als traumatisch erlebt? Was hat dir dabei geholfen, dein Geburtstrauma zu überwinden? Bist du noch auf deinem Heilungsweg? Schreib´es mir in die Kommentare!